Dienstag, 1. Oktober 2013

Unser Kampf gegen deinen Krebs

Das hier ist ein kleines Buch über Krebserkrankungen und vor allem über die Krebserkrankung meines Opas, der im Jahre 2012 seine unfassbar schreckliche Diagnose bekam. Ich habe dieses Buch geschrieben um gewisse Dinge zu verarbeiten und sie mir von der Seele zu schreiben. Meine Traurigkeit, meine Gedankengänge sowie gute und schlechte Tage sind hier niedergeschrieben. Dieses Buch soll ebenfalls Mut machen für Beteiligte. Das Lachen kann in diesen Zeiten einfach so ungerecht wirken und es fällt oftmals einfach nur schwer. Es soll aber auch hoffen lassen, dass es auch trotzdem noch Momente gibt, in denen man genau das gemeinsam super tun kann. Auch wenn diese Momente rar gesäht sein können.

Eine Krebserkrankung hat einen rasenden Verlauf und gerade das, war nicht immer einfach zu verstehen für mich. Doch egal wie schrecklich manche Tage waren, ich will sie nie wieder vergessen. Ich möchte mich stets daran erinnern können, welche guten und schlechten Erfahrungen wir gemacht haben. Ob es schlechte oder gute Prognosen von guten oder schlechten Ärzten waren. Oder ob es eben genau die besagten guten und schlechten Tage waren, all das habe ich wie in einem Tagebuch notiert. Das kann es einem wirklich einfacher machen. Der Umgang mit den vielen verschiedenen Ärzten war nicht immer einfach, genauso wie es nicht einfach war mit Niederschlägen umzugehen und dabei trotzdem nicht den Mut zu verlieren. Doch erst dann merkt man, wie viele Dinge im Leben wirklich nebensächlich sind. Es regnet draußen? Scheißegal. Ich habe zu wenig geschlafen und bin genervt? Scheißegal. Die Menschen auf der Arbeitsstelle nerven mich heute? Scheißegal. Und selbst Liebeskummer und private Dramen sind zeitweilig scheißegal. Man realisiert, dass vor dieser Diagnose alles perfekt war, auch wenn man das dummerweise nicht immer gemeint hat. Erst nach dem großen Zusammenbruch, kommt die große Dankbarkeit für alles, was vorher perfekt war.

Seit seiner Diagnose hat mein Opa mir so wahnsinnig viel gelehrt und ich konnte durch ihn und seine Erkrankung ein Stück wachsen. Mein Opa war nie lehrreicher für mich als in dieser Zeit.

In Erinnerung an den großen Kampf gegen deinen Krebs, Opa.


Mein Opa als Mensch vor der Diagnose

Kurt Ernst Erich Dieckmann, geboren am 15.02.1936 ist mein Opa um den es hier geht. Er ist aufgewachsen in Altenholz, einem kleinen Vorort von Kiel und ging dort auch von 1942-1952 zur Schule. In seiner Kindheit hat er es nicht immer leicht gemacht, woran auch der Krieg Schuld hatte. Damals blieb einem nicht viel Zeit um Kind zu sein. Man musste früh auf den Feldern der Eltern mit anpacken und arbeiten, denn darauf wurde gezählt. Die Kinder wurden bei der Arbeit fest mit eingeplant. Auch Spielzeug gab es damals kaum, man hat sich daher einfach selbst Spiele überlegt und Spielzeug gebastelt. Ab 1955 ging mein Opa in die KFZ Lehre, doch er merkte schnell, dass das nicht sein Berufsziel ist. Also fing er als Maschinenschlosser bei der MAK an. Von dem dort schwer verdienten Geld leistete er sich 1955 einen Motorroller, der sein stetiger Begleiter wurde. Es erlaubte ihm sich auch mal außerhalb von Altenholz aufzuhalten. 1955 lernte er so auch meine Oma kennen, mit der er bis heute verheiratet ist. Mein Opa war und ist ein wunderschöner Mann von großem Stolz und mit einer Menge Anmut. Am 28.08.1957 wurde dann geheiratet, was ja in den damaligen Zeiten immer recht schnell von Statten ging. Am 15.10.1958 wurde dann das erste Kind geboren, meine Tante Maike und alle waren stolz, dass es nun endlich ein Mädchen in der Familie gab. 1959 fing mein Opa dann bei der HDW an und verdiente nun auch mehr Geld. Am 24.06.1963 wurde dann mein Vater in Kiel Ellerbek geboren. Nun war die Familienplanung endgültig abgeschlossen. Mein Opa kam durch seine Art und Weise bei der HDW gut an und wurde prompt befördert. Als er damals in Rente ging, war er ein angesehener Mann der HDW.

1983 wurde dann das erste Enkelkind, Jenny geboren. Als ich dann 1991 hinterherkam, war das Glück meiner Großeltern perfekt.




Mein Großvater in der Rolle seines Lebens, der Opa

Meinen Opa habe ich immer als einen stolzen Mann erlebt, der es nicht gelernt hat zu klagen. Also hat er es natürlich auch nie getan. Solange ich meinen Opa kennen und ich kenne ihn mittlerweile 22 Jahre hat er nicht einmal übermäßig geklagt. Weder über Geldsorgen, noch über psychische und physische Probleme. Er war sein Leben lang gesund und kräftig, was wohl auch an der Arbeit auf dem Feld damals lag. Von klein auf hat er gelernt hart zu arbeiten und war körperliche Arbeit gewohnt. Das hat sich bis ins hohe Alter auch so getragen. Ich sehe meinen Opa oft vor meinem gedanklichen Auge im November im Unterhemd Holz hacken. Mein Opa ist ein humorvoller Mensch, der nie den Mut verliert, auch in den schwersten Zeiten.

In der Rolle des Opas ist er immer aufgegangen. Er liebt mich und Jenny überalles und würde alles für uns tun, das weiß ich. Wir konnten und können von Opa so vieles lernen. Er hat mir beigebracht wie man Vogelhäuser baut, denn das hat er immer sehr gerne gemacht. Ja sogar mein eigenes kleines Mädchenvogelhaus baute er mir in den Garten. Er hat mir gezeigt wie man einen Schneeengel macht und ist mit mir im Mai auf Maikäferjagd gegangen. Diese habe ich am Tag darauf mit zur Schule gebracht, denn diese Stadtkinder wussten ja gar nicht, was Maikäfer sind. Mein Opa hat mir viele Weisheiten und Tugenden aus seiner Kindheit mitgegeben auf meinen Weg. Ob berufliche oder private Sorgen, mein Opa war immer Ansprechpartner und große Hilfe. Später, als meine Mutter die Familie verließ, war auch er entscheidend an der Erziehung beteiligt. Auch wenn wir uns während meiner Pubertät oft gestritten haben, war er immer da. Heute bereue ich alle Gemeinheiten ihm gegenüber. Vor dem Aspekt, dass er heute so krank ist, möchte ich eigentlich nur noch die Zeit zurück drehen. Ich liebe meinen Opa mehr als alles andere auf dieser Welt und tief in seinem Innersten weiß er das auch. Ich habe ihm sehr viel zu verdanken und er hat für mich immer die Sonne scheinen lassen.
























Die schlimmste Zeit meines Lebens beginnt im Jahre 2011. Rückblickend war alles was dort furchtbar war, heute ein Lächeln wert. Du bekamst fürchterliche Schmerzen, die du zu Beginn dieser Zeit nicht einmal selbst einordnen konntest. Beim Luftholen sagtest du, würdest du einen Stich in der Brust spüren, der erst dann nachlassen würde, wenn du deinen rechten Arm hochhebst. Das heißt die Schmerzen waren punktuell auf eine Seite verteilt. Die ersten Tage habe ich und alle Mitglieder der Familie an nichts Schlimmes gedacht. Du bist eine Woche zuvor auf Glatteis ausgerutscht und gefallen. Genau die Seite auf die du gefallen warst, tat dir jetzt weh. Das war erst einmal nichts ungewöhnliches. Außerdem hast du zu der Zeit wieder im Unterhemd draußen gearbeitet, da kann man sich schon einmal verkühlen. Gerade bei der Wetterlage die wir im hohen Norden so oft haben. Bei jedem Einkauf, den ich tätigte kaufte ich dir eine neue Wundersalbe, von der ich meinte, dass diese jetzt aber wirklich helfen würde. Fast jeden Abend rieb ich dich ein und machte dir ein Wärmekissen, dass du dir auf die Seite gelegt hast. Wir versuchten es mit wärmenden und kühlenden Salben, die immer teurer wurden, denn sie sollten dir ja auch helfen. Doch nichts geschah. Zu der Zeit hast du viel vor dem Kachelofen gesessen, in der Hoffnung, dass würde helfen. Doch all das konnte dir deine unerträglichen Schmerzen nicht nehmen und wir baten dich jeden Tag mehrfach doch zum Arzt zu gehen. Irgendwann versuchte ich Trick 17. Ich war selbst Arzthelferin und wusste ganz genau um den Placeboeffekt. Also brachte ich eine Salbe mit, die ganz sicherlich nicht helfen würde und sagte dir, wie toll sie wäre. Doch auch das half nichts. Ich konnte dich danach auch immer noch nicht davon überzeugen zum Arzt zu gehen.

Wochen später klagtest du über Schlaflosigkeit, Kurzatmigkeit und Schweißausbrüche. Spätestens jetzt schrillten alle meine Alarmglocken und ein ungutes Gefühl sagte mir, dass das etwas Schlimmeres sein musste. Ich wusste natürlich ganz genau welche Symptome auf eine Krebserkrankung hindeuteten. Ich war unendlich besorgt um meinen Opa, doch ich traute mich nicht das auszusprechen, was ich dachte. Du wolltest nicht zum Arzt, denn ,,dat schitt sik allens weder hin“. Das würde schon von alleine gute werden, doch daran wollte keiner mehr so richtig glauben.

Im November 2011 begannen deine Symptome damals und im Februar zu deinem Geburtstag hast du vermutlich selbst gemerkt, dass es sich nicht von alleine geben würde. Während viele noch an eine Rippenfellentzündung glaubten, glaubte ich schon lange nicht mehr dran. Viele Gespräche habe ich mit meiner Mutter im Vertrauen geführt. Viele Stunden habe ich in ihrem Arm geweint, da ich wusste, dass es nur noch Krebs sein könnte. An deinem Geburtstag, dem 15.02.2012 saßen wir im Kreise der Familie zusammen und es wurde langsam dunkel draußen. Wir hatten vorab viel Spaß gehabt und gelacht miteinander. Auch Jennys neuer Freund war dabei und integrierte sich gleich super, weshalb es auch leicht fiel, offen über deine Symptome zu sprechen. Es war eine familiäre und glückliche Stimmung. Alle waren zufrieden und wollten dass es so bleibt. Auch deine Schmerzen kamen also irgendwann auf den Tisch. Meine Tante war wie immer in ihrem Tatendrang nicht zu stoppen, zu Recht. Sie wollte mit dir zusammen zum Arzt gehen, denn es könnte ja nicht falsch sein. Jenny und ich saßen dir gegenüber und baten dich inständig darum endlich zum Arzt zu gehen. Es würde schon nichts Schlimmes sein und wenn, dann würden wir das als Familie gemeinsam durchstehen. Wir gaben dir das Gefühl da zu sein und das waren wir. Das werden wir immer sein. Nachdem mein Onkel das Ganze noch einmal bestätigte, hattest du Tränen in den Augen und sagtest:

,,Wenn meine beiden Enkelkinder so vor mir sitzen, weiß ich, dass ich es tun muss.“


Wir applaudierten dir und waren unendlich stolz auf dich. Gesagt, getan. Du gingst zu allererst zu deinem Hausarzt und hast dich von ihm auf den Kopf stellen lassen. Deine Blutwerte waren in Ordnung, das EKG war wie bei einem 30 Jährigen und deine Lunge stark und gesund. Also war alles in Ordnung, puh. Doch zur endgültigen Abklärung deiner unklaren Schmerzen sollte es zu einem Orthopäden gehen, damit man dir auch helfen könnte. Du warst bei zwei Orthopäden. Ich weiß es noch als wäre es gestern gewesen und trotzdem hat sich seitdem so viel für uns verändert. Du hattest den Besuch beim ersten Orthopäden hinter dich gebracht. Ich kam aus Bad Segeberg nach Hause und steckte gerade in den Vorbereitungen für meine Abschlussprüfung. Ich kam auf den Hof und du kamst mir entgegen. In jeder Hand hattest du eine Gieskanne und im Gesicht ein breites Grinsen.

,,Deern, ich habe keinen Krebs.“

Ich bin dir um den Hals gefallen und habe mich so unendlich mit dir gefreut, dass mir Tränen über die Wange kullerten. Wir alle waren sehr glücklich noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen zu sein.

Doch du bist noch einmal zu deinem Hausarzt gegangen, denn dem war die ganze Sache zu unsicher, also schickte er dich ins CT vom Brustkorb. Man untersuchte dich von oben bis unten. Ein paar Tage nach den Untersuchungen rief dich der Hausarzt an und bat dich für die Besprechung des Befunds in seine Praxis zu kommen. Ich wusste nur zu genau was das bedeutete und ging mit einem Gefühl zur Arbeit das nichts Gutes bedeutete. Ich wusste wenn ich nach Hause komme, könnte nichts mehr so sein, wie es am Morgen noch war. So war es dann auch, du kamst nach Hause und warst fix und alle. Die Diagnose lautete Lungenkrebs und zusätzlich noch Asbestose durch deine Zeit bei der HDW. Der Krebs war auf den Aufnahmen sehr groß, wie groß, das würden die nächsten Tage bringen. Ich hatte das Gefühl mir hätte jemand das Herz rausgerissen. Oft habe ich vor dieser Diagnose zu meiner Mutter gesagt, dass ich vermutete du hättest Krebs. Natürlich hoffte ich aber, dass ich Unrecht damit haben würde.

Nach deiner Nachricht ging ich erst einmal rauf in mein Zimmer um zu weinen. Ich wollte dich nicht merken lassen, wie sehr es mich trifft. Im Nachhinein betrachtet war das falsch. Ich griff sofort zu meinem Handy und rief unter Tränen meine Mutter an, die sicherlich sofort wusste, dass etwas Schlimmes passiert ist. So saß ich nun auf meinem Bett mit meiner Mutter am Telefon und ich fühlte mich so unendlich allein. Meine Mutter weinte mit mir. Doch sie machte mir auch Mut und sagte mir man könne dir sicherlich helfen, auch wenn wir uns damit wissentlich selbst belogen.

Ein paar Tage später hielt ich es nicht mehr aus. Vor meiner Familie wagte ich mich nicht zu weinen. Also rief ich meine Mutter nach der Arbeit an und fuhr sofort zu ihr. In ihren Armen brach ich sofort in Tränen aus und alle weinten mit mir. Das hat mir für eine kurze Zeit wieder ein wenig Linderung verschafft. Ich wusste wir sind nicht alleine. Auf der Arbeit konnte ich meinen Schmerz nun auch nicht mehr herunterschlucken. Mittags zittierte mein Chef mich in sein Zimmer und nun wusste ich, dass ich sprechen musste um meinen Job nicht zu verlieren. Mein Chef war selbst Palliativarzt und kannte sich gut mit Krebspatienten aus. Er machte mir keine großen Hoffnungen, denn mittlerweile wussten wir, dass dein Krebs 9cm groß ist. Er machte mir Mut, dass ich nicht alleine wäre, wenn irgendetwas passiert. Und jeder weiß, was mit irgendetwas gemeint ist.




Sylvester 2012 bombte ich all das Negative gen Himmel und hoffte es würde Positives regnen. Auch wenn das für den Moment nicht half, mir verschaffte es einen kurzen Moment Hoffnung auf bessere Zeiten.

Von deinem Hausarzt wurdest du dann im Sommer 2012 in eine Spezialklinik nach Borstel geschickt. Du solltest dort ein paar Tage stationär bleiben und sie wollten einige Untersuchungen mit dir machen. Nur Borstel hatte zu der Zeit die Möglichkeit diese Untersuchungen durchzuführen. Dort sollte auch eingeschätzt werden, ob dein Krebs operabel ist. Dann würde man dir einfach den kranken Lungenflügel entnehmen und du müsstest das Atmen mit Hilfe verschiedener Techniken einfach neu erlernen. Ich war mir sicher, dass du damit schon klarkommen würdest, du bist immerhin mein starker Opa. Wir alle waren uns sicher, dass du das mit links machen würdest. Natürlich hatte ich die Hoffnung man könnte den Schweinehund (wie du ihn immer nennst), einfach aus deinem Körper nehmen und sich somit viele andere Untersuchungen sparen. Doch das war nicht dein Gedanke und auch nicht deine Hoffnung. Diese war, dass du unter der Narkose schmerzfrei sterben könntest. Damals dachte ich immer wieder, was für ein grausamer Gedanke das war. Doch im Nachhinein betrachtet, wäre das für dich das einzig wünschenswerte gewesen. Du bekamst eine Lungenspiegelung und noch viele andere Untersuchungen. Ein EKG und sogar eine Ergometrie hast du bekommen. Man lobte immer wieder deinen Kampfgeist und dein gutes Lungenvolumen. Natürlich hatten wir alle furchtbare Angst vor dem Schritt dich in die Klinik zu bringen. Wir kauften dir vorab ein sogenanntes Seniorenhandy, damit wir dich auch in der Klinik erreichen konnten. Es war ungewohnt, dass du mal im Krankenhaus warst und nicht Oma. Ich machte mir aber zu der Zeit weniger Gedanken um dich, sondern eher um Oma. Sie fällt leider ziemlich häufig und es war zu der Zeit niemand zu Hause. Wenn sie fallen würde, würde sie vermutlich Stunden irgendwo liegen, denn sie hatte nicht die Kraft alleine wieder aufzustehen. Wir haben sie von der Arbeit aus mehrfach angerufen und sie drum gebeten, nicht unnötig aufzustehen. Sie sollte nicht in den Keller gehen und um Gottes Willen anfangen zu bügeln. Die Trennung von dir hat unserer Oma sehr zugesetzt und sie war oftmals einfach total durch den Wind. Als ich eines Tages von der Arbeit kam, schlief sie wie immer friedlich in ihrem Sessel. Man kann sie schwer wecken, aus dem Grund schaut man immer zuerst ob sich der Brustkorb noch hebt. Ich tue das zumindestens. Ich weckte sie auf und sie fragte mich wo denn Opa wäre. Ich gab ihr ein Glas zu trinken und danach wusste sie wieder, dass du in der Klinik bist. Wenn ihr Beiden miteinander telefoniert habt, schossen mir regelmäßig die Tränen in die Augen. Man merkte endlich mal wieder, wie sehr ihr euch liebt. Es fielen Worte wie ich liebe dich und Schatz, was bei euch schon ziemlich ungewohnt ist.

Nach einer Woche in Borstel war klar, dass der Krebs inoperabel ist. Der Krebs sitzt zu nah am Lungenstamm und man müsste erst einmal mit Chemotherapie und Strahlentherapie den Krebs verkleinern, um ihn dann zu entfernen. Mir war von Anfang an klar, dass es dazu nicht kommen wird. Ich arbeite selbst als Arzthelferin, was in solch einer Situation mehr Fluch als Segen ist. Wie viel Zeit sollte denn bis zur Chemotherapie vergehen? Nach etwas mehr als einer Woche durften wir dich endlich nach Hause holen. Den ganzen Tag dachte ich an dich und freute mich tierisch auf dich. Nach der Arbeit aß ich schnell einen Happen mit Andrea und wir fuhren los. Wir beide fühlten nichts mehr als Vorfreude. Das Wetter war schön, die Sonne schien und es war ein herrlicher Tag. Auf dem großen Parkplatz angekommen sah ich dich schon vom Weiten auf einer Bank vor der Klinik sitzen. Du hast dein Gesicht in die Sonne gehalten, so wie du es immer getan hast und hast die Augen geschlossen. Als du uns gesehen hast, hast du geweint und konntest vor Freude kaum sprechen. Wir waren so froh, dich lebend in den Armen zu halten, das schwöre ich dir. Dann sind wir auf dein Zimmer gegangen, haben deine letzten Sachen gepackt und haben dich dorthin geholt, wo du hingehörst, nach Hause. Du hast überhaupt nicht krank gewirkt. Keine Spur von Kurzatmigkeit. Nur deine Braunüle im Arm zeugte davon, dass nicht alles okay war. Die ganze Familie wartete gespannt auf dich und alle freuten sich. Auch dein langjähriger Freund und Nachbar Dieter schaute vorbei um dich zu begrüßen und nach den Ergebnissen zu fragen. Oma schloss dich fest in ihre Arme und gab dir einen Kuss.

Doch nun sollte der Kampf erst richtig beginnen und ich wünschte mir jeden Tag, es könnte alles noch einmal so unbeschwert sein wie vor deiner Diagnose.

Du musstest in die Uni Klinik Kiel um die Voruntersuchungen für die Chemo über dich ergehen zu lassen. Deine ersten Chemotherapie Termine standen nun schwarz auf weiß auf einer kleinen Karte. Wir alle hatten Angst, wie du dich danach fühlten würdest. Wir waren so unsicher, wie die nächsten Wochen verlaufen würden. Man hört ja so viel schlechtes von einer Chemotherapie. Von Abgeschlagenheit, Lustlosigkeit und Übelkeit. Ich will nicht wissen, wie viel Angst du gehabt haben musst. Vor deinem ersten Termin küsste Oma dich und brach danach in Tränen aus, aus Angst dir könnte was passieren. Du wurdest jedes Mal morgens von einem Taxifahrer abgeholt, da es zu gefährlich wäre wenn du selbst fahren würdest. Ich muss sagen du hast die Chemotherapie gut überstanden. Ich hätte mit viel Schlimmeren Symptomen gerechnet. Übelkeit war allerdings dein stetiger Begleiter. Nicht einmal viele Haare hast du verloren, ganz im Gegenteil, du bekamst Locken. Doch da gab es ein Problem. Jede Woche wurde dir Blut abgenommen, was schon schwierig genug war, bei deinen schlechten Venenverhältnissen. Während der Chemotherapie ist es zwei Mal vorgekommen, dass deine Blutkörperchen zu niedrig waren.

Ich kam mittags nach Hause und wunderte mich, dass du schon vor mir zu Hause warst. Du erzähltest mir, dass deine Blutkörperchen zu niedrig waren. Ich musste dir nun eine Spritze geben, die die Produktion der Blutkörperchen anregen sollten. Natürlich würde ich das machen, immerhin ist das mein täglich Brot. Hätte ich gewusst, dass diese Spritze meinen tapferen Opa so umhauen würde, hätte ich das nicht tun können. Ein paar Stunden später fühltest du dich so elend, dass du es kaum noch ausgehalten hast und früher als sonst schlafen gingst. Dich so leiden zu sehen, war für mich so unglaublich schwer. Ich machte mir jeden Tag mehr Sorgen um dich und konnte zu der Zeit schon schlecht schlafen. Jedes Geräusch im Haus mitten in der Nacht machte mir Angst.

Während deiner Chemotherapie durftest du um Gottes Willen nicht mit Dingen in Berührung kommen, die dich schwächen oder gar krank machen. Du hast aber trotz allem Holz gesägt und die Enten sauber gemacht, alles ohne Mundschutz. Wir haben dich immer gebeten es doch bitte zu lassen, es würde deiner Lunge nicht gut tun, das alles einzuatmen. Ich erinnere mich noch genau daran, dass du daraufhin einmal völlig ausgeflippt bist und ich dich kurz nicht wieder erkannt habe. Du hast mit allem was in deiner Nähe war rumgeschmissen, aus Frustration. Du hast geschrien:

,,Darf ich denn gar nichts mehr machen? Man ich muss doch in Bewegung bleiben.“

Du musstest immer irgendetwas tun um dich ja nicht daran zu erinnern, wie krank du eigentlich warst. Du warst selten müde trotz Chemo und hast das alles gut verkraftet. DU warst mein ganzer Stolz.






Dann kam Weihnachten 2012 und wir sollten es nicht zu Hause feiern, sondern ausnahmsweise bei deinem anderen Enkelkind feiern. Sie wohnt mit ihrem zukünftigen Mann Jan in Düsternbrook, einem gut gestellten Viertel in Kiel. Ich persönlich hatte kein gutes Gefühl dabei da bin ich ehrlich. Ich war alles andere als begeistert von dieser Idee. Wir wussten ja immerhin alle nicht, ob es dein letztes Weihnachten werden würde, da noch so vieles vor uns lag. Ich wollte Weihnachten so verbringen wie immer, denn so hat es mir gefallen. Doch wir haben uns natürlich gefügt, dem lieben Frieden Willen und haben Weihnachten in Kiel gefeiert. Du warst gar nicht gut drauf, konntest uns aber auch nicht genau sagen, was dir fehlt, wie so oft. Du warst müde, abgeschlagen, kurzatmig und hattest wie immer keinen Appetit. Doch du hast tapfer wie ich dich kenne, fast alles aufgegessen und so getan als wäre nichts. Dann folgte wie immer die Bescherung und danach merkten wir, dass es Zeit war zu fahren. Du schliefst im Sitzen im Stuhl ein und batest uns doch darum dich nach Hause zu fahren. Es war dir unangenehm, denn du wolltest nicht das Weihnachtsfest versauen. Aber du hast erstaunlich lange durch gehalten und niemand war dir böse. Alle hatten das Gefühl, dass es das letzte Mal mit dir unter dem prächtigen Tannenbaum war und dieser Abend hinterließ eigentlich nur eine große Traurigkeit.

Zu dieser Zeit wurde der Kontakt zwischen meinen Eltern näher und auch Yvonne kam uns oft besuchen. Sie arbeitete jetzt bei einer Kosmetikfirma, die aber auch ziemlich nützige homöopathische Tabletten im Angebot hat. Sie gab dir Tabletten, die dir helfen sollten dich ruhiger zu machen, damit du mal wieder schlafen konntest. Yvonne sagte mir im Vertrauen, dass die Tabletten dafür bekannt sind, einen Krebs zu verkabseln und die Produktion der Krebszellen stoppen soll. Wir wussten nicht, ob sich diese Tabletten rentieren würden, aber sie waren homöopathisch und daher hast du sie einfach genommen. Es fiel ja nicht auf, wenn du einfach ein paar Tabletten mehr nimmst.

Nach der langen Chemo stand nun die Strahlentherapie an. Du musstest zu einem Vorgespräch wie immer in die Uni und kamst bemalt wie ein Indianer nach Hause. Die Strahlentherapie setzte dir unglaublich zu und diese Zeit war für alle kaum zu ertragen. Du hast immer auf dem Sofa gelegen und die Augen geschlossen, schlafen kannst du seitdem sowieso nicht mehr. Dir war oft übel und du hast dich einige Male im MRT erbrochen, weil du eine Kontrastmittelallergie hattest. Ab jetzt ließ auch dein Appetit und Geschmackssinn nach und du wurdest dadurch immer dünner. Du sagtest einmal:

,,Wenn alles gleich schmeckt, bringt es keinen Spaß mehr zu essen. Aber ich zwinge mich dazu.“

Was dich besonders betroffen machte war, dass die Haut an deinen Armen anfing zu hängen. Du hast ja immer gearbeitet und deine Muskeln stets trainiert. Doch es gab Zeiten, da bist du kaum vom Sofa aufgestanden. Wir und besonders ich machte mir unglaubliche Sorgen um dich. Alles was dich ausgemacht hatte, war nun nicht mehr da und ich erkannte dich häufig nicht mehr wieder. Du warst oftmals sehr gereizt und man musste sich in Geduld üben nicht gegenan zu gehen. Sondern dich einfach mal schimpfen zu lassen. Oftmals musste ich mich zusammen reißen, wenn du wieder einmal mit mir gemeckert hast. Kein Medikament der Welt wollte dir deinen sonst so guten Appetit wieder bringen und ich wusste, es würde dich schwächen wenn du nichts mehr isst. Auch heute hast du oft keinen Appetit. Du isst gerne Zigeunersauce, weil es dann wenigstens nach etwas schmeckt. Also hauen wir dir an jedes Essen einfach Zigeunersauce. Du liebst es. Du isst oft weil du es musst, aber es gibt auch Tage, an denen du Heißhunger hast, zum Beispiel auf Babybel. Dinge, die dir früher geschmeckt haben, schmecken dir nicht mehr. Dinge die viel zu salzig sind, empfindest du als nüchtern.

Doch das ist nicht die schwerste Hürde, die wir zu nehmen haben. Deine Psyche leidet sehr unter der jetzigen Situation. Du weinst sehr viel, bist nachdenklich und lethargisch. Immer wieder warst du einfach totunglücklich. Doch es gibt Momente, in denen ich einfach so dankbar dafür bin, dass du noch da bist. Es sind deine Ideen und Wünsche, die wir dir noch so gerne erfüllen wollen.

Wenn du sagst, dass du ans Meer möchtest, schnappt Maike dich und fährt mit dir und den Hunden an den Strand. Du wolltest unbedingt in den Hagenbecker Tierpark und auch diesen Wunsch haben wir dir und Oma im Rahmen eines Familienausflugs gerne erfüllt. Deine strahlenden Augen beim Anblick der Tiere, wars alle Male wert. Auch eine Nordseerundfahrt hat die Familie mit dir gemacht und ist mit dir zu den Seehundbecken gefahren. Doch dein größter Wunsch stand uns noch bevor. Du wolltest noch ein einziges Mal in den bayrischen Wald zu deinen Freunden fahren. Doch mir schien dieses Ziel zwischendurch ziemlich hoch gegriffen. Man weiß ja wie es mit schwerst Kranken Menschen und ihren Zielen ist. Sobald sie es erreicht haben, geben sie auf und das wollte ich auf keinen Fall erleben.

Du hattest nun auch die Strahlentherapie hinter dir gelassen. Ich erinnere mich genau an einen Tag, der nicht hätte länger sein können. Du solltest zum CT, damit man sehen konnte, ob die Therapie etwas gebracht hätte. Wenn nicht, musstest du wieder zur Chemo und das durfte bitte nicht passieren. Denn das hättest du sicherlich nicht getan. Ich kam von der Arbeit und du warst noch nicht zu Hause und ab da vergingen die Minuten wie Stunden. Du kamst über den Hof gelaufen, dein Gesicht ließ keine Spekulationen zu und du hattest deinen Leinenbeutel in der Hand. Du schautest ins Wohnzimmer, weintest und konntest kaum noch reden. Doch dann endlich :

,,Der Krebs schläft. Der Krebs arbeitet nicht mehr und ist verkapselt.“

mir und Oma schossen sofort die Tränen in die Augen und ich habe dich ganz lange gedrückt. Sofort rief ich Mama und Yvonne an. Yvonne und Mama brachen sofort in Tränen aus und Yvonne sagte mir, dass genau das vielleicht auch ihre Tabletten bewirkt haben. Doch wie lange würde das Wachstum gestoppt sein? Niemand wusste es und diese Ungewissheit kann deinen Kopf ficken.

Die Zeit strich immer weiter ins Land und jeder Tag gleitet einem aus den Händen. Man konnte dir stetig dabei zusehen wie du schwächer und kurzatmiger wurdest. Im Juli sollte es nach Bayern gehen, soweit der Plan. Doch da mussten erst einmal die Ärzte der Uniklinik zustimmen. Zum Glück hattest du eine tolle Ärztin, die sehr bemüht war. Sie gab dir das Go für deinen Urlaub und dann ging es auch schon los. Papa fuhr mit euch, wie immer und du hast dich unendlich gefreut deinen Freunden in Bayern mitteilen zu können, dass der Kurti wieder kommt. Ich habe es genossen, deine Freude zu sehen.

Eines Abends sitze ich mit meinem Freund und meinem Vater auf unserer Terasse. Dann ließ ich die Bombe platzen und brachte eine Idee hervor, die ich die Nacht zuvor gehabt habe.

,,Ich habe überlegt ob Eric und ich für ein Wochenende nach Bayern kommen und Opa überraschen.“

Mein Vater war natürlich Feuer und Flamme für die Idee. Da es Eric dort unten auch sehr gefällt, war er auch nicht abgeneigt. Jetzt mussten wir nur noch Urlaub bekommen, was für Eric ziemlich leicht ist, da er bei seinem Stiefvater arbeitet.

Ich ging also am Montag zu meiner Arbeitskollegin und bat um 2 freie Tage. Mit der Begründung mit meinem Opa den letzten kurzen Sommer in Bayern zu verbringen. Natürlich bekam ich den Urlaub sofort genehmigt und ich muss sagen, ich habe die verständnisvollsten Kollegen der Welt. Eine Kollegin ist von ihrem Urlaub zurückgetreten für mich. Wir erzählten dir und Oma natürlich nichts von unserem Plan. Ihr fuhrt also los und hab nichts geahnt. Dann kam unser großer Tag. Ich packte mein Dirndl ein und Eric hat sich eine Lederhose geliehen. Ab ging die große Fahrt. 9 Stunden beengtes Sitzen und nächtliches Fahren haben uns geschafft. Aber desto näher wir kamen, desto größer war die Vorfreude. Der Hund blieb bei Maike, das war zum Glück so abgeklärt und klappte auch. Sonst hätten wir vermutlich auch nicht fahren können. Angekommen in unserem Urlaubsdorf, zogen wir uns oben im Wald umund riefen Papa an, dass wir da wären. Oma und Opa saßen draußen, wir kamen um die Ecke mit einem frischen Grüß Gott. Opas Gesicht war jeden Kilometer wert und man sah ihm an, dass er sprachlos war. Beide weinten und ja mein Opa war mal sprachlos und drückte mich ganz fest.

Wir sollten im Zimmer neben Oma und Opa schlafen, getrennt durch eine dünne Glastür. Ich hätte niemals gedacht, dass 3 Nächte mich nervlich so zermürben. Opa hustete die ganze Nacht und ich hatte Angst, er würde ersticken. Ich fand oftmals keinen Schlaf und wir hatten keinen Fernseher, was für mich das Schlimmste ist, denn ich konnte mich nicht einmal ablenken. Dann kam das große Anna Fest und für mich und Eric der letzte Tag. Opa saß lange drüben, unterhielt sich mit vielen Freunden und trank tatsächlich das eine oder andere Bier. Als dann dein Lied kam, deine rehbraunen Augen, sangst du wie früher. Du hast es zumindestens versucht, denn deine Stimme war nun mal immer erste Klasse. Doch du hattest nicht mehr die Puste. Aber du saßt neben mir, hast gesungen und gleichzeitig geweint. Das sind so bewegende Momente die ich mit dir erleben durfte, die mich umhauen und die ich nie vergessen werde. Es kann so schnell von gut in schlecht oder andersrum schwanken in deiner Gegenwart.

Heute ist der 24.09.2013. Ich kam von der Arbeit und obwohl ich nicht mehr zu Hause wohne, ist mein erster Weg nach Hause zu meinem Opa. Ich sehe nach euch und frage euch wie es euch geht und das jeden Tag. Wenn ich einmal nicht kommen kann, rufe ich natürlich an. Ich will einfach jeden freien Moment bei dir sein und dir zeigen, dass ich bei dir bin, egal was kommt. Dir geht’s immer schlechter und heute ist wieder ein besonders schlechter Tag. Der Krebs schläft, aber die Asbestose befällt deine Lunge immer weiter. Du hast mittlerweile ein Sauerstoffgerät, doch viel bringen tut es nicht. Deine Lungenbläschen sind zu verklebt. Du bekommst kaum noch Luft durch deine Lungen und bist schon von wenigen Schritten zunehmend erschöpft. Du hustest eigentlich pausenlos und siehst immer schlechter aus. Du nimmst kontinuerlich ab, obwohl du genug isst. Du wirkst blass und deinen Bauch, den ich immer so geliebt habe..der ist weg. Ich sitze gerne neben dir auf dem Sofa und kuschel mit dir. Ich esse gerne mit dir Bonbons aus einer Tüte und teile jeden so kostbaren Moment mit dir. Doch ab heute sehe ich eine andere Medikamentenpackung auf dem Tisch liegen. Du warst beim Arzt wegen deiner Schmerzen. Er hat dir Morphium verschrieben. Meine Chefs sind Ärzte des Palliativnetzes Kiel und ich weiß genau was das bedeutet. Man soll dir jeglichen Schmerz und jegliche Empfindung nehmen. Du sollst es nicht merken wenn du erstickst. Es versetzt mir einen Stich ins Herz, diese Packung dort liegen zu sehen, doch ich lasse mir nichts anmerken.






Eine Woche später nimmst du diese Tabletten nicht mehr. Du hast Magenschmerzen bekommen. Ich rate dir natürlich dazu zum Arzt zu gehen und dir einen Magenschutz aufschreiben zu lassen. Doch das willst du nicht und das kann ich sogar verstehen. Auf der Packung steht, dass die Tabletten gegen Schmerzen sind, die du aber derzeitig nicht hast. Also nimmst du sie natürlich auch nicht. Aber ich kann dir unmöglich die Wahrheit sagen. Sie würden dich auch besser schlafen lassen. Das ist der einzige Strohhalm nach dem ich greifen kann, wenn ich glaubwürdig für die Tabletten sprechen möchte.

Ich möchte hier noch einmal betonen, dass man nie mehr lernen kann als von einem Menschen, der seinem Ende so nah ist. Man lernt Lebensweisheiten und man wird erwachsener. Man lernt nicht alles zu ernst zu nehmen und wirklich sein Leben zu lieben. Man rutsch ein Stück aneinander, denn ich hätte früher nie mit meinem Opa gekuschelt. Da war er nie der Typ zu. Er lehrt mir jeden Tag wie unwichtig meine Sorgen sind und was wirklich zählt. Und zwar die Familie, die Liebe und die Gesundheit. Ich habe beschlossen mit dem Rauchen aufzuhören und sobald meine Chefin aus dem Urlaub wieder da ist, werde ich mit ihr einen kontrollierten Entzug machen. Wenn nicht jetzt, wann dann? In manchen Momenten möchte ich die Welt anhalten, nicht einmal zurückspulen. Nur für immer anhalten, damit er immer bei mir bleibt. Doch ich weiß, das wird nicht gehen, unabhängig von seiner Krankheit oder nicht. Irgendwann stirbt jeder Mensch nun einmal. Doch nicht auf diese Art und Weise. Mein erster Opa, den ich nicht mehr kenne, ist ebenfalls an Krebs gestorben und ich möchte ihn nicht so sterben sehen. Ich weiß wie krebskranke Menschen denken und sterben. Es ist furchtbar. Jede Nacht habe ich Angst, dass das Telefon klingelt und du aufgehört hast zu Atmen. Ich bin aus dem Grund ausgezogen, dass ich Angst hatte dich irgendwann tot zu finden. Auch wenn es sich feige anhört. Ich bin unter diesen Gedanken kaputt gegangen, zu Hause kann ich bedingt abschalten, aber es gelingt mir wenigstens. Ich unterhalte mich auf der Arbeit auch mit vielen krebskranken Menschen, die mir Mut machen. Ganz verblüffend war die Begegnung zu einer älteren Dame die ebenfalls Krebs hat. Sie fragt mich jedes Mal nach meinem Opa und ja ich habe auch schon vor ihr Tränen in den Augen gehabt. Aber sie sagt :

,,Ein krebskranker Mensch, weiß genau, wann Schluss ist. Und er lernt damit zu leben und sehnt es sich manchmal auch herbei. Doch für die Angehörigen, ist es tausendmal schlimmer als für mich als Krebskranke.“

Dieser Satz hat mir sehr geholfen, wie alle Ratschläge, die man von anderen Menschen zu hören bekommt. Oftmals hört man auch den Spruch. Naja er hat eben ein gewisses Alter. Aber dann ist es nicht weniger schlimm, als wenn jemand mit 22 Jahren an Krebs stirbt. Es ist immer furchtbar und diesen Satz kann ich mittlerweile nicht mehr hören. Denn jeder Mensch in jedem Alter kann leiden!!

Meine Cousine wird im Mai 2014 heiraten und du bist fest eingespannt eine Hochzeitszeitung zu machen. Das hast du immer gemacht und wirklich immer sehr gut gemacht. Also ab ans Werk und du warst so unglaublich schnell. Eines Tages kam ich nach Hause und fand im Wohnzimmer dich, Oma und Maike vor. Alle weinten. Weil du gesagt hast, dass du dich extra beeilt hast, weil du Angst hast es nicht mehr zu schaffen. Auch hast du mir provezeit dass ich meine Rede ändern muss, da du dann nicht mehr leben wirst. Das sind die schlimmsten Momente für ein Enkelkind, das kannst du mir glauben.




Heute ist der 15.10.2013. Meine Tante hat Geburtstag und wir sitzen alle gemeinsam am Kaffeetisch. Du siehst schlecht aus und berichtest mir, dass du letzte Nacht gar nicht geschlafen hast, doch das Morphium willst du trotz allem nicht nehmen. Jeder Luftstrom der von außen auf dich einwirkt, bringt dich aus dem Konzept und lässt dich schwer atmen.

Als ich heute am 16.10.2013 zu euch kam, hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Du hattest ein rotes Gesicht und deine Augen waren rot. Ich sah Oma an und auch ihre Augen waren rot. Ihr habt mit Sicherheit geweint, doch ich habe mich nicht getraut irgendwas zu sagen. Also habe ich mich einfach zu dir gesetzt, habe deine Hand gehalten und dir von meinem Tag erzählt. Du bist ein so guter Zuhörer, trotz deiner eigenen Probleme. Ich liebe dich und dein Kämpferherz.

Meine Mutter erzählte mir, dass Oma zu dir etwas gesagt hat, was sie nicht mehr loslässt. Sie sagte :

,,Bitte lass mich hier nicht alleine, ich brauche dich und kann ohne dich nicht leben.“

Und das nach über 50 Jahren Ehe!! Da kann man schon nachdenklich werden.