Unser
Kampf gegen deinen Krebs
Das
hier ist ein kleines Buch über Krebserkrankungen und vor allem über
die Krebserkrankung meines Opas, der im Jahre 2012 seine unfassbar
schreckliche Diagnose bekam. Ich habe dieses Buch geschrieben um
gewisse Dinge zu verarbeiten und sie mir von der Seele zu schreiben.
Meine Traurigkeit, meine Gedankengänge sowie gute und schlechte Tage
sind hier niedergeschrieben. Dieses Buch soll ebenfalls Mut machen
für Beteiligte. Das Lachen kann in diesen Zeiten einfach so
ungerecht wirken und es fällt oftmals einfach nur schwer. Es soll
aber auch hoffen lassen, dass es auch trotzdem noch Momente gibt, in
denen man genau das gemeinsam super tun kann. Auch wenn diese Momente
rar gesäht sein können.
Eine
Krebserkrankung hat einen rasenden Verlauf und gerade das, war nicht
immer einfach zu verstehen für mich. Doch egal wie schrecklich
manche Tage waren, ich will sie nie wieder vergessen. Ich möchte
mich stets daran erinnern können, welche guten und schlechten
Erfahrungen wir gemacht haben. Ob es schlechte oder gute Prognosen
von guten oder schlechten Ärzten waren. Oder ob es eben genau die
besagten guten und schlechten Tage waren, all das habe ich wie in
einem Tagebuch notiert. Das kann es einem wirklich einfacher machen.
Der Umgang mit den vielen verschiedenen Ärzten war nicht immer
einfach, genauso wie es nicht einfach war mit Niederschlägen
umzugehen und dabei trotzdem nicht den Mut zu verlieren. Doch erst
dann merkt man, wie viele Dinge im Leben wirklich nebensächlich
sind. Es regnet draußen? Scheißegal. Ich habe zu wenig geschlafen
und bin genervt? Scheißegal. Die Menschen auf der Arbeitsstelle
nerven mich heute? Scheißegal. Und selbst Liebeskummer und private
Dramen sind zeitweilig scheißegal. Man realisiert, dass vor dieser
Diagnose alles perfekt war, auch wenn man das dummerweise nicht immer
gemeint hat. Erst nach dem großen Zusammenbruch, kommt die große
Dankbarkeit für alles, was vorher perfekt war.
Seit
seiner Diagnose hat mein Opa mir so wahnsinnig viel gelehrt und ich
konnte durch ihn und seine Erkrankung ein Stück wachsen. Mein Opa
war nie lehrreicher für mich als in dieser Zeit.
In
Erinnerung an den großen Kampf gegen deinen Krebs, Opa.
Mein
Opa als Mensch vor der Diagnose
Kurt
Ernst Erich Dieckmann, geboren am 15.02.1936 ist mein Opa um den es
hier geht. Er ist aufgewachsen in Altenholz, einem kleinen Vorort von
Kiel und ging dort auch von 1942-1952 zur Schule. In seiner Kindheit
hat er es nicht immer leicht gemacht, woran auch der Krieg Schuld
hatte. Damals blieb einem nicht viel Zeit um Kind zu sein. Man musste
früh auf den Feldern der Eltern mit anpacken und arbeiten, denn
darauf wurde gezählt. Die Kinder wurden bei der Arbeit fest mit
eingeplant. Auch Spielzeug gab es damals kaum, man hat sich daher
einfach selbst Spiele überlegt und Spielzeug gebastelt. Ab 1955 ging
mein Opa in die KFZ Lehre, doch er merkte schnell, dass das nicht
sein Berufsziel ist. Also fing er als Maschinenschlosser bei der MAK
an. Von dem dort schwer verdienten Geld leistete er sich 1955 einen
Motorroller, der sein stetiger Begleiter wurde. Es erlaubte ihm sich
auch mal außerhalb von Altenholz aufzuhalten. 1955 lernte er so auch
meine Oma kennen, mit der er bis heute verheiratet ist. Mein Opa war
und ist ein wunderschöner Mann von großem Stolz und mit einer Menge
Anmut. Am 28.08.1957 wurde dann geheiratet, was ja in den damaligen
Zeiten immer recht schnell von Statten ging. Am 15.10.1958 wurde dann
das erste Kind geboren, meine Tante Maike und alle waren stolz, dass
es nun endlich ein Mädchen in der Familie gab. 1959 fing mein Opa
dann bei der HDW an und verdiente nun auch mehr Geld. Am 24.06.1963
wurde dann mein Vater in Kiel Ellerbek geboren. Nun war die
Familienplanung endgültig abgeschlossen. Mein Opa kam durch seine
Art und Weise bei der HDW gut an und wurde prompt befördert. Als er
damals in Rente ging, war er ein angesehener Mann der HDW.
1983
wurde dann das erste Enkelkind, Jenny geboren. Als ich dann 1991
hinterherkam, war das Glück meiner Großeltern perfekt.
Mein
Großvater in der Rolle seines Lebens, der Opa
Meinen
Opa habe ich immer als einen stolzen Mann erlebt, der es nicht
gelernt hat zu klagen. Also hat er es natürlich auch nie getan.
Solange ich meinen Opa kennen und ich kenne ihn mittlerweile 22 Jahre
hat er nicht einmal übermäßig geklagt. Weder über Geldsorgen,
noch über psychische und physische Probleme. Er war sein Leben lang
gesund und kräftig, was wohl auch an der Arbeit auf dem Feld damals
lag. Von klein auf hat er gelernt hart zu arbeiten und war
körperliche Arbeit gewohnt. Das hat sich bis ins hohe Alter auch so
getragen. Ich sehe meinen Opa oft vor meinem gedanklichen Auge im
November im Unterhemd Holz hacken. Mein Opa ist ein humorvoller
Mensch, der nie den Mut verliert, auch in den schwersten Zeiten.
In
der Rolle des Opas ist er immer aufgegangen. Er liebt mich und Jenny
überalles und würde alles für uns tun, das weiß ich. Wir konnten
und können von Opa so vieles lernen. Er hat mir beigebracht wie man
Vogelhäuser baut, denn das hat er immer sehr gerne gemacht. Ja sogar
mein eigenes kleines Mädchenvogelhaus baute er mir in den Garten. Er
hat mir gezeigt wie man einen Schneeengel macht und ist mit mir im
Mai auf Maikäferjagd gegangen. Diese habe ich am Tag darauf mit zur
Schule gebracht, denn diese Stadtkinder wussten ja gar nicht, was
Maikäfer sind. Mein Opa hat mir viele Weisheiten und Tugenden aus
seiner Kindheit mitgegeben auf meinen Weg. Ob berufliche oder private
Sorgen, mein Opa war immer Ansprechpartner und große Hilfe. Später,
als meine Mutter die Familie verließ, war auch er entscheidend an
der Erziehung beteiligt. Auch wenn wir uns während meiner Pubertät
oft gestritten haben, war er immer da. Heute bereue ich alle
Gemeinheiten ihm gegenüber. Vor dem Aspekt, dass er heute so krank
ist, möchte ich eigentlich nur noch die Zeit zurück drehen. Ich
liebe meinen Opa mehr als alles andere auf dieser Welt und tief in
seinem Innersten weiß er das auch. Ich habe ihm sehr viel zu
verdanken und er hat für mich immer die Sonne scheinen lassen.
Die
schlimmste Zeit meines Lebens beginnt im Jahre 2011. Rückblickend
war alles was dort furchtbar war, heute ein Lächeln wert. Du bekamst
fürchterliche Schmerzen, die du zu Beginn dieser Zeit nicht einmal
selbst einordnen konntest. Beim Luftholen sagtest du, würdest du
einen Stich in der Brust spüren, der erst dann nachlassen würde,
wenn du deinen rechten Arm hochhebst. Das heißt die Schmerzen waren
punktuell auf eine Seite verteilt. Die ersten Tage habe ich und alle
Mitglieder der Familie an nichts Schlimmes gedacht. Du bist eine
Woche zuvor auf Glatteis ausgerutscht und gefallen. Genau die Seite
auf die du gefallen warst, tat dir jetzt weh. Das war erst einmal
nichts ungewöhnliches. Außerdem hast du zu der Zeit wieder im
Unterhemd draußen gearbeitet, da kann man sich schon einmal
verkühlen. Gerade bei der Wetterlage die wir im hohen Norden so oft
haben. Bei jedem Einkauf, den ich tätigte kaufte ich dir eine neue
Wundersalbe, von der ich meinte, dass diese jetzt aber wirklich
helfen würde. Fast jeden Abend rieb ich dich ein und machte dir ein
Wärmekissen, dass du dir auf die Seite gelegt hast. Wir versuchten
es mit wärmenden und kühlenden Salben, die immer teurer wurden,
denn sie sollten dir ja auch helfen. Doch nichts geschah. Zu der Zeit
hast du viel vor dem Kachelofen gesessen, in der Hoffnung, dass würde
helfen. Doch all das konnte dir deine unerträglichen Schmerzen nicht
nehmen und wir baten dich jeden Tag mehrfach doch zum Arzt zu gehen.
Irgendwann versuchte ich Trick 17. Ich war selbst Arzthelferin und
wusste ganz genau um den Placeboeffekt. Also brachte ich eine Salbe
mit, die ganz sicherlich nicht helfen würde und sagte dir, wie toll
sie wäre. Doch auch das half nichts. Ich konnte dich danach auch
immer noch nicht davon überzeugen zum Arzt zu gehen.
Wochen
später klagtest du über Schlaflosigkeit, Kurzatmigkeit und
Schweißausbrüche. Spätestens jetzt schrillten alle meine
Alarmglocken und ein ungutes Gefühl sagte mir, dass das etwas
Schlimmeres sein musste. Ich wusste natürlich ganz genau welche
Symptome auf eine Krebserkrankung hindeuteten. Ich war unendlich
besorgt um meinen Opa, doch ich traute mich nicht das auszusprechen,
was ich dachte. Du wolltest nicht zum Arzt, denn ,,dat schitt sik
allens weder hin“. Das würde schon von alleine gute werden, doch
daran wollte keiner mehr so richtig glauben.
Im
November 2011 begannen deine Symptome damals und im Februar zu deinem
Geburtstag hast du vermutlich selbst gemerkt, dass es sich nicht von
alleine geben würde. Während viele noch an eine
Rippenfellentzündung glaubten, glaubte ich schon lange nicht mehr
dran. Viele Gespräche habe ich mit meiner Mutter im Vertrauen
geführt. Viele Stunden habe ich in ihrem Arm geweint, da ich wusste,
dass es nur noch Krebs sein könnte. An deinem Geburtstag, dem
15.02.2012 saßen wir im Kreise der Familie zusammen und es wurde
langsam dunkel draußen. Wir hatten vorab viel Spaß gehabt und
gelacht miteinander. Auch Jennys neuer Freund war dabei und
integrierte sich gleich super, weshalb es auch leicht fiel, offen
über deine Symptome zu sprechen. Es war eine familiäre und
glückliche Stimmung. Alle waren zufrieden und wollten dass es so
bleibt. Auch deine Schmerzen kamen also irgendwann auf den Tisch.
Meine Tante war wie immer in ihrem Tatendrang nicht zu stoppen, zu
Recht. Sie wollte mit dir zusammen zum Arzt gehen, denn es könnte ja
nicht falsch sein. Jenny und ich saßen dir gegenüber und baten dich
inständig darum endlich zum Arzt zu gehen. Es würde schon nichts
Schlimmes sein und wenn, dann würden wir das als Familie gemeinsam
durchstehen. Wir gaben dir das Gefühl da zu sein und das waren wir.
Das werden wir immer sein. Nachdem mein Onkel das Ganze noch einmal
bestätigte, hattest du Tränen in den Augen und sagtest:
,,Wenn
meine beiden Enkelkinder so vor mir sitzen, weiß ich, dass ich es
tun muss.“
Wir
applaudierten dir und waren unendlich stolz auf dich. Gesagt, getan.
Du gingst zu allererst zu deinem Hausarzt und hast dich von ihm auf
den Kopf stellen lassen. Deine Blutwerte waren in Ordnung, das EKG
war wie bei einem 30 Jährigen und deine Lunge stark und gesund. Also
war alles in Ordnung, puh. Doch zur endgültigen Abklärung deiner
unklaren Schmerzen sollte es zu einem Orthopäden gehen, damit man
dir auch helfen könnte. Du warst bei zwei Orthopäden. Ich weiß es
noch als wäre es gestern gewesen und trotzdem hat sich seitdem so
viel für uns verändert. Du hattest den Besuch beim ersten
Orthopäden hinter dich gebracht. Ich kam aus Bad Segeberg nach Hause
und steckte gerade in den Vorbereitungen für meine Abschlussprüfung.
Ich kam auf den Hof und du kamst mir entgegen. In jeder Hand hattest
du eine Gieskanne und im Gesicht ein breites Grinsen.
,,Deern,
ich habe keinen Krebs.“
Ich
bin dir um den Hals gefallen und habe mich so unendlich mit dir
gefreut, dass mir Tränen über die Wange kullerten. Wir alle waren
sehr glücklich noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen zu sein.
Doch
du bist noch einmal zu deinem Hausarzt gegangen, denn dem war die
ganze Sache zu unsicher, also schickte er dich ins CT vom Brustkorb.
Man untersuchte dich von oben bis unten. Ein paar Tage nach den
Untersuchungen rief dich der Hausarzt an und bat dich für die
Besprechung des Befunds in seine Praxis zu kommen. Ich wusste nur zu
genau was das bedeutete und ging mit einem Gefühl zur Arbeit das
nichts Gutes bedeutete. Ich wusste wenn ich nach Hause komme, könnte
nichts mehr so sein, wie es am Morgen noch war. So war es dann auch,
du kamst nach Hause und warst fix und alle. Die Diagnose lautete
Lungenkrebs und zusätzlich noch Asbestose durch deine Zeit bei der
HDW. Der Krebs war auf den Aufnahmen sehr groß, wie groß, das
würden die nächsten Tage bringen. Ich hatte das Gefühl mir hätte
jemand das Herz rausgerissen. Oft habe ich vor dieser Diagnose zu
meiner Mutter gesagt, dass ich vermutete du hättest Krebs. Natürlich
hoffte ich aber, dass ich Unrecht damit haben würde.
Nach
deiner Nachricht ging ich erst einmal rauf in mein Zimmer um zu
weinen. Ich wollte dich nicht merken lassen, wie sehr es mich trifft.
Im Nachhinein betrachtet war das falsch. Ich griff sofort zu meinem
Handy und rief unter Tränen meine Mutter an, die sicherlich sofort
wusste, dass etwas Schlimmes passiert ist. So saß ich nun auf meinem
Bett mit meiner Mutter am Telefon und ich fühlte mich so unendlich
allein. Meine Mutter weinte mit mir. Doch sie machte mir auch Mut und
sagte mir man könne dir sicherlich helfen, auch wenn wir uns damit
wissentlich selbst belogen.
Ein
paar Tage später hielt ich es nicht mehr aus. Vor meiner Familie
wagte ich mich nicht zu weinen. Also rief ich meine Mutter nach der
Arbeit an und fuhr sofort zu ihr. In ihren Armen brach ich sofort in
Tränen aus und alle weinten mit mir. Das hat mir für eine kurze
Zeit wieder ein wenig Linderung verschafft. Ich wusste wir sind nicht
alleine. Auf der Arbeit konnte ich meinen Schmerz nun auch nicht mehr
herunterschlucken. Mittags zittierte mein Chef mich in sein Zimmer
und nun wusste ich, dass ich sprechen musste um meinen Job nicht zu
verlieren. Mein Chef war selbst Palliativarzt und kannte sich gut mit
Krebspatienten aus. Er machte mir keine großen Hoffnungen, denn
mittlerweile wussten wir, dass dein Krebs 9cm groß ist. Er machte
mir Mut, dass ich nicht alleine wäre, wenn irgendetwas passiert. Und
jeder weiß, was mit irgendetwas gemeint ist.
Sylvester
2012 bombte ich all das Negative gen Himmel und hoffte es würde
Positives regnen. Auch wenn das für den Moment nicht half, mir
verschaffte es einen kurzen Moment Hoffnung auf bessere Zeiten.
Von
deinem Hausarzt wurdest du dann im Sommer 2012 in eine Spezialklinik
nach Borstel geschickt. Du solltest dort ein paar Tage stationär
bleiben und sie wollten einige Untersuchungen mit dir machen. Nur
Borstel hatte zu der Zeit die Möglichkeit diese Untersuchungen
durchzuführen. Dort sollte auch eingeschätzt werden, ob dein Krebs
operabel ist. Dann würde man dir einfach den kranken Lungenflügel
entnehmen und du müsstest das Atmen mit Hilfe verschiedener
Techniken einfach neu erlernen. Ich war mir sicher, dass du damit
schon klarkommen würdest, du bist immerhin mein starker Opa. Wir
alle waren uns sicher, dass du das mit links machen würdest.
Natürlich hatte ich die Hoffnung man könnte den Schweinehund (wie
du ihn immer nennst), einfach aus deinem Körper nehmen und sich
somit viele andere Untersuchungen sparen. Doch das war nicht dein
Gedanke und auch nicht deine Hoffnung. Diese war, dass du unter der
Narkose schmerzfrei sterben könntest. Damals dachte ich immer
wieder, was für ein grausamer Gedanke das war. Doch im Nachhinein
betrachtet, wäre das für dich das einzig wünschenswerte gewesen.
Du bekamst eine Lungenspiegelung und noch viele andere
Untersuchungen. Ein EKG und sogar eine Ergometrie hast du bekommen.
Man lobte immer wieder deinen Kampfgeist und dein gutes
Lungenvolumen. Natürlich hatten wir alle furchtbare Angst vor dem
Schritt dich in die Klinik zu bringen. Wir kauften dir vorab ein
sogenanntes Seniorenhandy, damit wir dich auch in der Klinik
erreichen konnten. Es war ungewohnt, dass du mal im Krankenhaus warst
und nicht Oma. Ich machte mir aber zu der Zeit weniger Gedanken um
dich, sondern eher um Oma. Sie fällt leider ziemlich häufig und es
war zu der Zeit niemand zu Hause. Wenn sie fallen würde, würde sie
vermutlich Stunden irgendwo liegen, denn sie hatte nicht die Kraft
alleine wieder aufzustehen. Wir haben sie von der Arbeit aus mehrfach
angerufen und sie drum gebeten, nicht unnötig aufzustehen. Sie
sollte nicht in den Keller gehen und um Gottes Willen anfangen zu
bügeln. Die Trennung von dir hat unserer Oma sehr zugesetzt und sie
war oftmals einfach total durch den Wind. Als ich eines Tages von der
Arbeit kam, schlief sie wie immer friedlich in ihrem Sessel. Man kann
sie schwer wecken, aus dem Grund schaut man immer zuerst ob sich der
Brustkorb noch hebt. Ich tue das zumindestens. Ich weckte sie auf und
sie fragte mich wo denn Opa wäre. Ich gab ihr ein Glas zu trinken
und danach wusste sie wieder, dass du in der Klinik bist. Wenn ihr
Beiden miteinander telefoniert habt, schossen mir regelmäßig die
Tränen in die Augen. Man merkte endlich mal wieder, wie sehr ihr
euch liebt. Es fielen Worte wie ich liebe dich und Schatz, was bei
euch schon ziemlich ungewohnt ist.
Nach
einer Woche in Borstel war klar, dass der Krebs inoperabel ist. Der
Krebs sitzt zu nah am Lungenstamm und man müsste erst einmal mit
Chemotherapie und Strahlentherapie den Krebs verkleinern, um ihn dann
zu entfernen. Mir war von Anfang an klar, dass es dazu nicht kommen
wird. Ich arbeite selbst als Arzthelferin, was in solch einer
Situation mehr Fluch als Segen ist. Wie viel Zeit sollte denn bis zur
Chemotherapie vergehen? Nach etwas mehr als einer Woche durften wir
dich endlich nach Hause holen. Den ganzen Tag dachte ich an dich und
freute mich tierisch auf dich. Nach der Arbeit aß ich schnell einen
Happen mit Andrea und wir fuhren los. Wir beide fühlten nichts mehr
als Vorfreude. Das Wetter war schön, die Sonne schien und es war ein
herrlicher Tag. Auf dem großen Parkplatz angekommen sah ich dich
schon vom Weiten auf einer Bank vor der Klinik sitzen. Du hast dein
Gesicht in die Sonne gehalten, so wie du es immer getan hast und
hast die Augen geschlossen. Als du uns gesehen hast, hast du geweint
und konntest vor Freude kaum sprechen. Wir waren so froh, dich lebend
in den Armen zu halten, das schwöre ich dir. Dann sind wir auf dein
Zimmer gegangen, haben deine letzten Sachen gepackt und haben dich
dorthin geholt, wo du hingehörst, nach Hause. Du hast überhaupt
nicht krank gewirkt. Keine Spur von Kurzatmigkeit. Nur deine Braunüle
im Arm zeugte davon, dass nicht alles okay war. Die ganze Familie
wartete gespannt auf dich und alle freuten sich. Auch dein
langjähriger Freund und Nachbar Dieter schaute vorbei um dich zu
begrüßen und nach den Ergebnissen zu fragen. Oma schloss dich fest
in ihre Arme und gab dir einen Kuss.
Doch
nun sollte der Kampf erst richtig beginnen und ich wünschte mir
jeden Tag, es könnte alles noch einmal so unbeschwert sein wie vor
deiner Diagnose.
Du
musstest in die Uni Klinik Kiel um die Voruntersuchungen für die
Chemo über dich ergehen zu lassen. Deine ersten Chemotherapie
Termine standen nun schwarz auf weiß auf einer kleinen Karte. Wir
alle hatten Angst, wie du dich danach fühlten würdest. Wir waren so
unsicher, wie die nächsten Wochen verlaufen würden. Man hört ja so
viel schlechtes von einer Chemotherapie. Von Abgeschlagenheit,
Lustlosigkeit und Übelkeit. Ich will nicht wissen, wie viel Angst du
gehabt haben musst. Vor deinem ersten Termin küsste Oma dich und
brach danach in Tränen aus, aus Angst dir könnte was passieren. Du
wurdest jedes Mal morgens von einem Taxifahrer abgeholt, da es zu
gefährlich wäre wenn du selbst fahren würdest. Ich muss sagen du
hast die Chemotherapie gut überstanden. Ich hätte mit viel
Schlimmeren Symptomen gerechnet. Übelkeit war allerdings dein
stetiger Begleiter. Nicht einmal viele Haare hast du verloren, ganz
im Gegenteil, du bekamst Locken. Doch da gab es ein Problem. Jede
Woche wurde dir Blut abgenommen, was schon schwierig genug war, bei
deinen schlechten Venenverhältnissen. Während der Chemotherapie ist
es zwei Mal vorgekommen, dass deine Blutkörperchen zu niedrig waren.
Ich
kam mittags nach Hause und wunderte mich, dass du schon vor mir zu
Hause warst. Du erzähltest mir, dass deine Blutkörperchen zu
niedrig waren. Ich musste dir nun eine Spritze geben, die die
Produktion der Blutkörperchen anregen sollten. Natürlich würde ich
das machen, immerhin ist das mein täglich Brot. Hätte ich gewusst,
dass diese Spritze meinen tapferen Opa so umhauen würde, hätte ich
das nicht tun können. Ein paar Stunden später fühltest du dich so
elend, dass du es kaum noch ausgehalten hast und früher als sonst
schlafen gingst. Dich so leiden zu sehen, war für mich so
unglaublich schwer. Ich machte mir jeden Tag mehr Sorgen um dich und
konnte zu der Zeit schon schlecht schlafen. Jedes Geräusch im Haus
mitten in der Nacht machte mir Angst.
Während
deiner Chemotherapie durftest du um Gottes Willen nicht mit Dingen in
Berührung kommen, die dich schwächen oder gar krank machen. Du hast
aber trotz allem Holz gesägt und die Enten sauber gemacht, alles
ohne Mundschutz. Wir haben dich immer gebeten es doch bitte zu
lassen, es würde deiner Lunge nicht gut tun, das alles einzuatmen.
Ich erinnere mich noch genau daran, dass du daraufhin einmal völlig
ausgeflippt bist und ich dich kurz nicht wieder erkannt habe. Du hast
mit allem was in deiner Nähe war rumgeschmissen, aus Frustration. Du
hast geschrien:
,,Darf
ich denn gar nichts mehr machen? Man ich muss doch in Bewegung
bleiben.“
Du
musstest immer irgendetwas tun um dich ja nicht daran zu erinnern,
wie krank du eigentlich warst. Du warst selten müde trotz Chemo und
hast das alles gut verkraftet. DU warst mein ganzer Stolz.
Dann
kam Weihnachten 2012 und wir sollten es nicht zu Hause feiern,
sondern ausnahmsweise bei deinem anderen Enkelkind feiern. Sie wohnt
mit ihrem zukünftigen Mann Jan in Düsternbrook, einem gut
gestellten Viertel in Kiel. Ich persönlich hatte kein gutes Gefühl
dabei da bin ich ehrlich. Ich war alles andere als begeistert von
dieser Idee. Wir wussten ja immerhin alle nicht, ob es dein letztes
Weihnachten werden würde, da noch so vieles vor uns lag. Ich wollte
Weihnachten so verbringen wie immer, denn so hat es mir gefallen.
Doch wir haben uns natürlich gefügt, dem lieben Frieden Willen und
haben Weihnachten in Kiel gefeiert. Du warst gar nicht gut drauf,
konntest uns aber auch nicht genau sagen, was dir fehlt, wie so oft.
Du warst müde, abgeschlagen, kurzatmig und hattest wie immer keinen
Appetit. Doch du hast tapfer wie ich dich kenne, fast alles
aufgegessen und so getan als wäre nichts. Dann folgte wie immer die
Bescherung und danach merkten wir, dass es Zeit war zu fahren. Du
schliefst im Sitzen im Stuhl ein und batest uns doch darum dich nach
Hause zu fahren. Es war dir unangenehm, denn du wolltest nicht das
Weihnachtsfest versauen. Aber du hast erstaunlich lange durch
gehalten und niemand war dir böse. Alle hatten das Gefühl, dass es
das letzte Mal mit dir unter dem prächtigen Tannenbaum war und
dieser Abend hinterließ eigentlich nur eine große Traurigkeit.
Zu
dieser Zeit wurde der Kontakt zwischen meinen Eltern näher und auch
Yvonne kam uns oft besuchen. Sie arbeitete jetzt bei einer
Kosmetikfirma, die aber auch ziemlich nützige homöopathische
Tabletten im Angebot hat. Sie gab dir Tabletten, die dir helfen
sollten dich ruhiger zu machen, damit du mal wieder schlafen
konntest. Yvonne sagte mir im Vertrauen, dass die Tabletten dafür
bekannt sind, einen Krebs zu verkabseln und die Produktion der
Krebszellen stoppen soll. Wir wussten nicht, ob sich diese Tabletten
rentieren würden, aber sie waren homöopathisch und daher hast du
sie einfach genommen. Es fiel ja nicht auf, wenn du einfach ein paar
Tabletten mehr nimmst.
Nach
der langen Chemo stand nun die Strahlentherapie an. Du musstest zu
einem Vorgespräch wie immer in die Uni und kamst bemalt wie ein
Indianer nach Hause. Die Strahlentherapie setzte dir unglaublich zu
und diese Zeit war für alle kaum zu ertragen. Du hast immer auf dem
Sofa gelegen und die Augen geschlossen, schlafen kannst du seitdem
sowieso nicht mehr. Dir war oft übel und du hast dich einige Male im
MRT erbrochen, weil du eine Kontrastmittelallergie hattest. Ab jetzt
ließ auch dein Appetit und Geschmackssinn nach und du wurdest
dadurch immer dünner. Du sagtest einmal:
,,Wenn
alles gleich schmeckt, bringt es keinen Spaß mehr zu essen. Aber ich
zwinge mich dazu.“
Was
dich besonders betroffen machte war, dass die Haut an deinen Armen
anfing zu hängen. Du hast ja immer gearbeitet und deine Muskeln
stets trainiert. Doch es gab Zeiten, da bist du kaum vom Sofa
aufgestanden. Wir und besonders ich machte mir unglaubliche Sorgen um
dich. Alles was dich ausgemacht hatte, war nun nicht mehr da und ich
erkannte dich häufig nicht mehr wieder. Du warst oftmals sehr
gereizt und man musste sich in Geduld üben nicht gegenan zu gehen.
Sondern dich einfach mal schimpfen zu lassen. Oftmals musste ich mich
zusammen reißen, wenn du wieder einmal mit mir gemeckert hast. Kein
Medikament der Welt wollte dir deinen sonst so guten Appetit wieder
bringen und ich wusste, es würde dich schwächen wenn du nichts mehr
isst. Auch heute hast du oft keinen Appetit. Du isst gerne
Zigeunersauce, weil es dann wenigstens nach etwas schmeckt. Also
hauen wir dir an jedes Essen einfach Zigeunersauce. Du liebst es. Du
isst oft weil du es musst, aber es gibt auch Tage, an denen du
Heißhunger hast, zum Beispiel auf Babybel. Dinge, die dir früher
geschmeckt haben, schmecken dir nicht mehr. Dinge die viel zu salzig
sind, empfindest du als nüchtern.
Doch
das ist nicht die schwerste Hürde, die wir zu nehmen haben. Deine
Psyche leidet sehr unter der jetzigen Situation. Du weinst sehr viel,
bist nachdenklich und lethargisch. Immer wieder warst du einfach
totunglücklich. Doch es gibt Momente, in denen ich einfach so
dankbar dafür bin, dass du noch da bist. Es sind deine Ideen und
Wünsche, die wir dir noch so gerne erfüllen wollen.
Wenn
du sagst, dass du ans Meer möchtest, schnappt Maike dich und fährt
mit dir und den Hunden an den Strand. Du wolltest unbedingt in den
Hagenbecker Tierpark und auch diesen Wunsch haben wir dir und Oma im
Rahmen eines Familienausflugs gerne erfüllt. Deine strahlenden Augen
beim Anblick der Tiere, wars alle Male wert. Auch eine
Nordseerundfahrt hat die Familie mit dir gemacht und ist mit dir zu
den Seehundbecken gefahren. Doch dein größter Wunsch stand uns noch
bevor. Du wolltest noch ein einziges Mal in den bayrischen Wald zu
deinen Freunden fahren. Doch mir schien dieses Ziel zwischendurch
ziemlich hoch gegriffen. Man weiß ja wie es mit schwerst Kranken
Menschen und ihren Zielen ist. Sobald sie es erreicht haben, geben
sie auf und das wollte ich auf keinen Fall erleben.
Du
hattest nun auch die Strahlentherapie hinter dir gelassen. Ich
erinnere mich genau an einen Tag, der nicht hätte länger sein
können. Du solltest zum CT, damit man sehen konnte, ob die Therapie
etwas gebracht hätte. Wenn nicht, musstest du wieder zur Chemo und
das durfte bitte nicht passieren. Denn das hättest du sicherlich
nicht getan. Ich kam von der Arbeit und du warst noch nicht zu Hause
und ab da vergingen die Minuten wie Stunden. Du kamst über den Hof
gelaufen, dein Gesicht ließ keine Spekulationen zu und du hattest
deinen Leinenbeutel in der Hand. Du schautest ins Wohnzimmer,
weintest und konntest kaum noch reden. Doch dann endlich :
,,Der
Krebs schläft. Der Krebs arbeitet nicht mehr und ist verkapselt.“
mir
und Oma schossen sofort die Tränen in die Augen und ich habe dich
ganz lange gedrückt. Sofort rief ich Mama und Yvonne an. Yvonne und
Mama brachen sofort in Tränen aus und Yvonne sagte mir, dass genau
das vielleicht auch ihre Tabletten bewirkt haben. Doch wie lange
würde das Wachstum gestoppt sein? Niemand wusste es und diese
Ungewissheit kann deinen Kopf ficken.
Die
Zeit strich immer weiter ins Land und jeder Tag gleitet einem aus den
Händen. Man konnte dir stetig dabei zusehen wie du schwächer und
kurzatmiger wurdest. Im Juli sollte es nach Bayern gehen, soweit der
Plan. Doch da mussten erst einmal die Ärzte der Uniklinik zustimmen.
Zum Glück hattest du eine tolle Ärztin, die sehr bemüht war. Sie
gab dir das Go für deinen Urlaub und dann ging es auch schon los.
Papa fuhr mit euch, wie immer und du hast dich unendlich gefreut
deinen Freunden in Bayern mitteilen zu können, dass der Kurti wieder
kommt. Ich habe es genossen, deine Freude zu sehen.
Eines
Abends sitze ich mit meinem Freund und meinem Vater auf unserer
Terasse. Dann ließ ich die Bombe platzen und brachte eine Idee
hervor, die ich die Nacht zuvor gehabt habe.
,,Ich
habe überlegt ob Eric und ich für ein Wochenende nach Bayern kommen
und Opa überraschen.“
Mein
Vater war natürlich Feuer und Flamme für die Idee. Da es Eric dort
unten auch sehr gefällt, war er auch nicht abgeneigt. Jetzt mussten
wir nur noch Urlaub bekommen, was für Eric ziemlich leicht ist, da
er bei seinem Stiefvater arbeitet.
Ich
ging also am Montag zu meiner Arbeitskollegin und bat um 2 freie
Tage. Mit der Begründung mit meinem Opa den letzten kurzen Sommer in
Bayern zu verbringen. Natürlich bekam ich den Urlaub sofort
genehmigt und ich muss sagen, ich habe die verständnisvollsten
Kollegen der Welt. Eine Kollegin ist von ihrem Urlaub zurückgetreten
für mich. Wir erzählten dir und Oma natürlich nichts von unserem
Plan. Ihr fuhrt also los und hab nichts geahnt. Dann kam unser großer
Tag. Ich packte mein Dirndl ein und Eric hat sich eine Lederhose
geliehen. Ab ging die große Fahrt. 9 Stunden beengtes Sitzen und
nächtliches Fahren haben uns geschafft. Aber desto näher wir kamen,
desto größer war die Vorfreude. Der Hund blieb bei Maike, das war
zum Glück so abgeklärt und klappte auch. Sonst hätten wir
vermutlich auch nicht fahren können. Angekommen in unserem
Urlaubsdorf, zogen wir uns oben im Wald umund riefen Papa an, dass
wir da wären. Oma und Opa saßen draußen, wir kamen um die Ecke mit
einem frischen Grüß Gott. Opas Gesicht war jeden Kilometer wert und
man sah ihm an, dass er sprachlos war. Beide weinten und ja mein Opa
war mal sprachlos und drückte mich ganz fest.
Wir
sollten im Zimmer neben Oma und Opa schlafen, getrennt durch eine
dünne Glastür. Ich hätte niemals gedacht, dass 3 Nächte mich
nervlich so zermürben. Opa hustete die ganze Nacht und ich hatte
Angst, er würde ersticken. Ich fand oftmals keinen Schlaf und wir
hatten keinen Fernseher, was für mich das Schlimmste ist, denn ich
konnte mich nicht einmal ablenken. Dann kam das große Anna Fest und
für mich und Eric der letzte Tag. Opa saß lange drüben, unterhielt
sich mit vielen Freunden und trank tatsächlich das eine oder andere
Bier. Als dann dein Lied kam, deine rehbraunen Augen, sangst du wie
früher. Du hast es zumindestens versucht, denn deine Stimme war nun
mal immer erste Klasse. Doch du hattest nicht mehr die Puste. Aber du
saßt neben mir, hast gesungen und gleichzeitig geweint. Das sind so
bewegende Momente die ich mit dir erleben durfte, die mich umhauen
und die ich nie vergessen werde. Es kann so schnell von gut in
schlecht oder andersrum schwanken in deiner Gegenwart.
Heute
ist der 24.09.2013. Ich kam von der Arbeit und obwohl ich nicht mehr
zu Hause wohne, ist mein erster Weg nach Hause zu meinem Opa. Ich
sehe nach euch und frage euch wie es euch geht und das jeden Tag.
Wenn ich einmal nicht kommen kann, rufe ich natürlich an. Ich will
einfach jeden freien Moment bei dir sein und dir zeigen, dass ich bei
dir bin, egal was kommt. Dir geht’s immer schlechter und heute ist
wieder ein besonders schlechter Tag. Der Krebs schläft, aber die
Asbestose befällt deine Lunge immer weiter. Du hast mittlerweile ein
Sauerstoffgerät, doch viel bringen tut es nicht. Deine
Lungenbläschen sind zu verklebt. Du bekommst kaum noch Luft durch
deine Lungen und bist schon von wenigen Schritten zunehmend
erschöpft. Du hustest eigentlich pausenlos und siehst immer
schlechter aus. Du nimmst kontinuerlich ab, obwohl du genug isst. Du
wirkst blass und deinen Bauch, den ich immer so geliebt habe..der ist
weg. Ich sitze gerne neben dir auf dem Sofa und kuschel mit dir. Ich
esse gerne mit dir Bonbons aus einer Tüte und teile jeden so
kostbaren Moment mit dir. Doch ab heute sehe ich eine andere
Medikamentenpackung auf dem Tisch liegen. Du warst beim Arzt wegen
deiner Schmerzen. Er hat dir Morphium verschrieben. Meine Chefs sind
Ärzte des Palliativnetzes Kiel und ich weiß genau was das bedeutet.
Man soll dir jeglichen Schmerz und jegliche Empfindung nehmen. Du
sollst es nicht merken wenn du erstickst. Es versetzt mir einen Stich
ins Herz, diese Packung dort liegen zu sehen, doch ich lasse mir
nichts anmerken.
Eine
Woche später nimmst du diese Tabletten nicht mehr. Du hast
Magenschmerzen bekommen. Ich rate dir natürlich dazu zum Arzt zu
gehen und dir einen Magenschutz aufschreiben zu lassen. Doch das
willst du nicht und das kann ich sogar verstehen. Auf der Packung
steht, dass die Tabletten gegen Schmerzen sind, die du aber derzeitig
nicht hast. Also nimmst du sie natürlich auch nicht. Aber ich kann
dir unmöglich die Wahrheit sagen. Sie würden dich auch besser
schlafen lassen. Das ist der einzige Strohhalm nach dem ich greifen
kann, wenn ich glaubwürdig für die Tabletten sprechen möchte.
Ich
möchte hier noch einmal betonen, dass man nie mehr lernen kann als
von einem Menschen, der seinem Ende so nah ist. Man lernt
Lebensweisheiten und man wird erwachsener. Man lernt nicht alles zu
ernst zu nehmen und wirklich sein Leben zu lieben. Man rutsch ein
Stück aneinander, denn ich hätte früher nie mit meinem Opa
gekuschelt. Da war er nie der Typ zu. Er lehrt mir jeden Tag wie
unwichtig meine Sorgen sind und was wirklich zählt. Und zwar die
Familie, die Liebe und die Gesundheit. Ich habe beschlossen mit dem
Rauchen aufzuhören und sobald meine Chefin aus dem Urlaub wieder da
ist, werde ich mit ihr einen kontrollierten Entzug machen. Wenn nicht
jetzt, wann dann? In manchen Momenten möchte ich die Welt anhalten,
nicht einmal zurückspulen. Nur für immer anhalten, damit er immer
bei mir bleibt. Doch ich weiß, das wird nicht gehen, unabhängig von
seiner Krankheit oder nicht. Irgendwann stirbt jeder Mensch nun
einmal. Doch nicht auf diese Art und Weise. Mein erster Opa, den ich
nicht mehr kenne, ist ebenfalls an Krebs gestorben und ich möchte
ihn nicht so sterben sehen. Ich weiß wie krebskranke Menschen denken
und sterben. Es ist furchtbar. Jede Nacht habe ich Angst, dass das
Telefon klingelt und du aufgehört hast zu Atmen. Ich bin aus dem
Grund ausgezogen, dass ich Angst hatte dich irgendwann tot zu finden.
Auch wenn es sich feige anhört. Ich bin unter diesen Gedanken kaputt
gegangen, zu Hause kann ich bedingt abschalten, aber es gelingt mir
wenigstens. Ich unterhalte mich auf der Arbeit auch mit vielen
krebskranken Menschen, die mir Mut machen. Ganz verblüffend war die
Begegnung zu einer älteren Dame die ebenfalls Krebs hat. Sie fragt
mich jedes Mal nach meinem Opa und ja ich habe auch schon vor ihr
Tränen in den Augen gehabt. Aber sie sagt :
,,Ein
krebskranker Mensch, weiß genau, wann Schluss ist. Und er lernt
damit zu leben und sehnt es sich manchmal auch herbei. Doch für die
Angehörigen, ist es tausendmal schlimmer als für mich als
Krebskranke.“
Dieser
Satz hat mir sehr geholfen, wie alle Ratschläge, die man von anderen
Menschen zu hören bekommt. Oftmals hört man auch den Spruch. Naja
er hat eben ein gewisses Alter. Aber dann ist es nicht weniger
schlimm, als wenn jemand mit 22 Jahren an Krebs stirbt. Es ist immer
furchtbar und diesen Satz kann ich mittlerweile nicht mehr hören.
Denn jeder Mensch in jedem Alter kann leiden!!
Meine
Cousine wird im Mai 2014 heiraten und du bist fest eingespannt eine
Hochzeitszeitung zu machen. Das hast du immer gemacht und wirklich
immer sehr gut gemacht. Also ab ans Werk und du warst so unglaublich
schnell. Eines Tages kam ich nach Hause und fand im Wohnzimmer dich,
Oma und Maike vor. Alle weinten. Weil du gesagt hast, dass du dich
extra beeilt hast, weil du Angst hast es nicht mehr zu schaffen. Auch
hast du mir provezeit dass ich meine Rede ändern muss, da du dann
nicht mehr leben wirst. Das sind die schlimmsten Momente für ein
Enkelkind, das kannst du mir glauben.
Heute
ist der 15.10.2013. Meine Tante hat Geburtstag und wir sitzen alle
gemeinsam am Kaffeetisch. Du siehst schlecht aus und berichtest mir,
dass du letzte Nacht gar nicht geschlafen hast, doch das Morphium
willst du trotz allem nicht nehmen. Jeder Luftstrom der von außen
auf dich einwirkt, bringt dich aus dem Konzept und lässt dich schwer
atmen.
Als
ich heute am 16.10.2013 zu euch kam, hatte ich das Gefühl, dass
irgendetwas nicht stimmt. Du hattest ein rotes Gesicht und deine
Augen waren rot. Ich sah Oma an und auch ihre Augen waren rot. Ihr
habt mit Sicherheit geweint, doch ich habe mich nicht getraut
irgendwas zu sagen. Also habe ich mich einfach zu dir gesetzt, habe
deine Hand gehalten und dir von meinem Tag erzählt. Du bist ein so
guter Zuhörer, trotz deiner eigenen Probleme. Ich liebe dich und
dein Kämpferherz.
Meine
Mutter erzählte mir, dass Oma zu dir etwas gesagt hat, was sie nicht
mehr loslässt. Sie sagte :
,,Bitte
lass mich hier nicht alleine, ich brauche dich und kann ohne dich
nicht leben.“
Und
das nach über 50 Jahren Ehe!! Da kann man schon nachdenklich werden.